Der Granatapfel: Historische und Zeitgenössische Symbolik in der Kunst – und meine persönliche Interpretation in der Serie »Es werde Licht«
- Jessika Dirks
- 16. Okt. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 20. Nov. 2024

Seit Jahrtausenden zieht der Granatapfel Künstler*innen und Denker*innen in seinen Bann. Dieses rätselhafte, saftige, facettenreiche Symbol hat in verschiedenen Kulturen und Epochen unterschiedliche Bedeutungen angenommen, von Fruchtbarkeit und Leben bis hin zu Sünde und Verführung. In der Kunstgeschichte spielt der Granatapfel eine zentrale Rolle als metaphorischer Träger tiefgründiger Erzählungen – und in meiner eigenen Arbeit, speziell in der Serie »Es werde Licht«, lässt er sich wie folgt lesen …
Die historische Bedeutung des Granatapfels in der Kunst
Der Granatapfel ist seit der Antike ein starkes Symbol. In der griechischen Mythologie steht er für Leben, Tod und Wiedergeburt. Hades bot Persephone sechs Granatapfelkerne an, deren Verzehr sie dazu zwang, einen Teil des Jahres in der Unterwelt zu verbringen – ein ewiger Kreislauf von Leben und Tod, der die Jahreszeiten mitprägte. In dieser Geschichte wird der Granatapfel zum Symbol des Zyklus der Natur und der unausweichlichen Verbindung von Leben und Sterben.
Im Christentum erfuhr der Granatapfel eine Umdeutung: Heiligkeit, Fruchtbarkeit und Überfluss. Die zahlreichen Kerne des Granatapfels, verborgen in seiner harten Schale, galten als Symbole der Fruchtbarkeit und der Menschheit. Aber auch als Versuchung und Fall aus dem Paradies kann er verstanden werden. Besonders in der Renaissancekunst wird der Granatapfel als Attribut der Jungfrau Maria dargestellt, oft in Bildern der Mutter und des Kindes. In dieser Form steht die Frucht einerseits für Leben und Erlösung, andererseits als stiller Verweis auf das bevorstehende Opfer Christi.
Zeitgenössische Interpretationen des Granatapfels
Zeitgenössische Künstler*innen greifen den Granatapfel als Symbol der Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit auf. Er erscheint oft als Metapher für Identität, Migration und Konflikte, wie im Werk der iranisch-amerikanischen Künstlerin Shirin Neshat, in dem die Frucht symbolisch für die Spannungen und das Potenzial der kulturellen Transformation steht.
Zeitgenössische Kunstwerke nutzen den Granatapfel nicht mehr nur als Symbol für religiöse oder mythologische Inhalte, sondern als Brücke zwischen den Welten von Tradition und Moderne. In einer globalisierten Welt gewinnt er neue Bedeutungsebenen – sei es als Verweis auf Genderfragen, als Symbol für Verwundbarkeit und Resilienz oder als Metapher für inneres Wachstum.
Meine persönliche Symbolik des Granatapfels in »Es werde Licht«
In meiner Serie »Es werde Licht« spielt der Granatapfel eine zentrale Rolle. Für mich repräsentiert er die komplexen Facetten des Frauseins* und die Notwendigkeit, patriarchale Erzählungen zu hinterfragen und neu zu deuten. Während der Granatapfel in der traditionellen Kunst häufig als Symbol für Sünde dargestellt wurde, übernehme ich dieses Bild, um es im Prozess radikal neu zu setzen.
In meiner Interpretation steht der Granatapfel zunächst als Zeichen des oktroyierten Sündenfalls und der systematischen Schuldigkeit der Frau*, wandelt sich dann hin zum Symbol für Selbstermächtigung des Weiblichen* und den Herauslösungsversuch aus patriarchalen Zuschreibungen.
In der Serie »Es werde Licht« spielt das Licht eine ebenso entscheidende Rolle. Das Licht, das meine Werke durchdringt, steht für Klarheit, Erkenntnis und Sichtbarwerden – ein Gegenentwurf zu Dunkelheit, Scham und Schuld, die der patriarchale Blick auf den weiblichen* Körper und Sein projiziert. In dieser Entfaltung des Lichtes, in der symbolischen Verbindung von Granatapfel und Licht, wird die Dualität von Sünde und Erleuchtung, von innerer Fülle und äußerer Härte aufgelöst. Es entsteht ein Raum, in dem Wahrhaftigkeit und Selbstbestimmung Platz finden, ausgetestet werden können.
Der Granatapfel als Symbol der weiblichen* Befreiung
Die Serie »Es werde Licht« zielt darauf ab, die Granatapfel-Symbolik neu zu besetzen. Weg von einer Schuldprojektion hin zu einem Zeichen der Potenzialität, der Resilienz und des Überwindens. Das Licht und der Granatapfel stehen in meiner Arbeit in einem dialogischen Verhältnis: Das Licht dringt durch die Härte des Granatapfels hindurch, enthüllt die inneren Schätze und transformiert die Frucht der Sünde in eine Frucht der Selbsterkenntnis und Ermächtigung.
Diese Auseinandersetzung mit dem Granatapfel lädt dazu ein – so hoffe ich, patriarchale Erzählungen zu hinterfragen und ihren eigenen Blick auf sich selbst und die Welt zu schärfen. Wie viele Geschichten und Potenziale liegen in uns verborgen, die nur darauf warten, ins Licht zu wachsen? Der Granatapfel ist in meiner Serie zu einem Symbol der Hoffnung, der Neudefinition und des Aufbruchs geworden – ein Aufruf, die Frucht der »Sünde« zu einer Frucht des Neuen jenseits der Scham zu machen.
So wie der Granatapfel über Jahrtausende seine Bedeutung wandelte und erweitert wurde, lädt meine Serie »Es werde Licht« dazu ein, alte Narrative zu durchbrechen und Raum für neue Perspektiven zu schaffen. Der Granatapfel ist dabei nicht nur ein Symbol des Wandels, sondern ein starker Begleiter auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben, jenseits der starren Zuschreibungen, die uns die patriarchale Gesellschaft auferlegt.
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