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Intime Einblicke in meinen Kunstschaffensprozess – Kunst zwischen Scham und Selbstermächtigung

Meine Kunst ist eine Reise nach innen, die das Verborgene ans Licht holt. Sie ist intim und roh, persönlich und doch universell. Alles, was ich erlebe, ist immer auch ein Teil der Gesellschaft, spiegelt Strukturen und Begegnungen wider, die uns prägen und uns formen.


Nach meinem Studium der Kunst und Philosophie zog ich mich zurück. Ich malte zumeist im Verborgenen, zwang mich nur hie und da in die Konfrontation, mit den Blicken der Betrachter*innen. Aus Scham einer diffusen Unzulänglichkeit heraus, scheute ich die Sichtbarkeit, wie der Vampir das Tageslicht. Bis zu jenem Moment vor dem Spiegel, der alles veränderte.



Der Beginn: »Du sollst schön sein«


Ich stand vor dem Spiegel, wie so oft. Und wie so oft empfand ich Ablehnung, Ekel, Verzweiflung – über meinen Körper, über mich selbst. Ich versuchte, mich zu kaschieren, zu optimieren, zu verstecken, zu zerreißen, wegzumachen.


Doch an diesem Tag kippte etwas. Die Gefühle von Selbsthass und Scham schlugen mit einem Mal und mit einer fremden Intensität um – erst in Wut gegen mein Spiegelbild, dann gegen mich selbst und schließlich in eine neue seltsame Wut, die sich nicht nur gegen mich, sondern auch gegen ein unbekanntes Außen richtete. Eine diffuse, unbändige Wut.



Jessika Dirks vor dem Spiegel
Resignation vor dem Spiegel, 2020


Die Wut musste heraus, sonst hätte sie weiteres Unheil in meinem Inneren angerichtet. Sie floss in Farbe, in Form, in Bewegung. Ich begann zu malen, unaufhaltsam, getrieben. Jedes Bild wurde eine Konfrontation mit meinem eigenen Blick. Was genau war da hässlich? Warum dieser Ekel? Was an mir war es, das nicht zu genügen schien?


Nach und nach wurden meine Bilder zu Protagonistinnen. Jedes Bild gab einem Teil von mir Raum, sich zu zeigen. Und je länger ich malte, desto mehr wandelte sich mein Blick. Die Wut wich einer Traurigkeit, die Traurigkeit einer leisen Zuneigung.



Acrylgemälde in bunten und unbunten Farben, zeigt eine Frau die in ihre Bauchhaut greift
Du sollst schön sein, Ana, 2021


Am Ende dieser Serie, die ich »Du sollst schön sein« nannte, war da ein Funken Fürsorge für mich selbst – eine Wärme, die ich noch nie zuvor gespürt hatte. Doch dieser Prozess war nur der Anfang. Denn die Wut war noch da ...


Jetzt mehr über »Du sollst schön sein« erfahren:




Der feministische Kampf: Weibliche Scham im Patriarchat


Mit dem erstmalig warmen Gefühl für mich und meine weibliche* Körperlichkeit schloss ich die Serie »Du sollst schön sein« ab. Es zog mich thematisch weg von meiner, zu diesem Zeitpunkt befremdlich anfühlenden, Selbstabwertung. Weg von der Hässlichkeit. Geradewegs hinein in das Befragen, woher diese Selbstablehnung rührte. Von der sich meine Vorahnung bestätigte, dass sie mir nicht allein gehört. Dass sie nicht allein in meiner eigenen Verantwortung liegt und ich wandte mich diesem Phänomen – der systemischen Scham – zu.


Denn während ich malte, wurde mir klar, wie tief diese Scham in mir verwurzelt war. Ich erkannte, dass sie zutiefst indoktriniert, systemisch angelegt ist. Sie von Generation zu Generation weitergegeben, zementiert wird. Sie ist eine krankhafte, destabilisierende Beschämung der Frau*, die das Patriarchat uns auferlegt: über unsere Körper, unsere Wünsche, unser Denken.


Scham ist ein mächtiges Werkzeug. Sie macht klein, unsichtbar, handlungsunfähig. Sie trennt uns von uns selbst und voneinander. Sie zementiert Rollenbilder und hält uns in Abhängigkeiten. Und sie ist so allgegenwärtig, dass wir sie oft nicht einmal bemerken.


Und so entwickelte sich mein Schaffen weiter:


Ich wechselte unter meinem Mikroskop, meiner Kunst den Fokus. Weg von meiner Selbstablehnung. Hin zu meiner Scham, die dem Ekel immer schon vorausging ...



Zwischen Scham und Selbstermächtigung: »Es werde Licht«


Ich begann dieses Schamgefühl, das sich immer mehr an die Oberfläche zu schieben schien, zu erfassen, zu umranden, einzufangen. Ich war mir sicher, um dieses Phänomen beleuchten zu können, musste ich es in eine Darstellbarkeit, Vermittelbarkeit zwingen. Dem Unsagbaren eine Artikulation verleihen. Mitfühlen machen. Emotionalen Zugang schaffen. Nicht nur für mich selbst, um meine persönliche Scham zu überwinden ...


dieses Mal ging es mir ganz konkret darum, das Gefühl der destruktiven Scham Menschen, Betrachtenden zugänglich zu machen. Mit Kunst einen Zugang zu legen zu gesellschaftlichem Diskurs.


Ich wollte nicht nur meine eigene Scham sichtbar machen, sondern auch die systemischen Mechanismen dahinter. Meine Werke wurden zum Spiegel, der den Betrachter*innen die eigene Komplizenschaft und Verletzlichkeit vor Augen hält, in das Spotlight stellt. Sie rufen Emotionen hervor – unangenehme, aber notwendige.



Ausschnitt aus dem Gemälde Colossus Patriarchy von Jessika Dirks zeigt eine Frau auf dem Rücken liegend den Betrachter ansehend
Ausschnitt »Colossus Patriarchy«, 2024

Doch der Kampf im Außen zehrt an mir. Die Auseinandersetzung mit dem System, mit patriarchalen Strukturen, hat mich müde gemacht. Im Schaffensprozess der Serie »Es werde Licht« manifestierte sich ein Wendepunkt:


der Versuch, nicht nur die Scham zu beleuchten, sondern sie hinter mir zu lassen.


Ich malte weiter, um all die falschen, auferlegten Vorstellungen von mir zu dekonstruieren. Um mich von der Last der Scham zu befreien, die mich einengt.


Was bleibt, wenn diese Schichten fallen, ist ein schemenhaftes, unvollständiges Selbst – ein Anfang, kein Ende – etwas oder jemand, die sich zaghaft zusammensetzt.



Acrylgemälde Rekonstruktion von Jessika Dirkszeigt eine formlose Frau in einem schwarzen Kleid
»(Re)Konstruktion«, 2024

Meine Bilder zeigen, wie es sein könnte, jenseits der Scham. Sie sind mutige, erste Entwürfe eines Selbst, das nicht mehr im Schatten stehen will. Auch wenn die Scham bleibt und sie mich immer wieder zurück ins Dunkel reißen will. Ich stelle mich dagegen. Werde zu etwas jenseits von ihr.


Werksübersicht »Es werde Licht«:




Ein Moment des Rückzugs


Jetzt, da ich die Mechanismen der Scham durchdrungen habe, spüre ich, wie ich mich nach einem Rückzug sehne. Ich lasse die Serie »Es werde Licht« los und wende mich erneut der Leinwand zu – diesmal ohne Wut, ohne Zwang, ohne Vorstellung davon, was entstehen soll.


Ich will mich einer Essenz zuwenden, die ich erahnen, aber noch nicht sehen kann. Mich fragen, wer ich bin, wenn die Scham schweigt. Es ist ein neuer Anfang, ein Prozess der liebevollen Hinwendung zu mir selbst, um neue Kraft und Identität zu schöpfen. In einer immer lauter und drohender werdenden Welt, die uns zu zerfasern droht, braucht es Rückgrat und eine Gewissheit darüber, wer wir sind und was wir brauchen, wer wir sein wollen und werden – als Individuen und als Gesellschaft.



Einladung zum Dialog


Meine Kunst ist keine leichte Kost. Sie fordert heraus, sie berührt tief, wenn man es zulässt. Und sie ist auch eine Umarmung, ein Raum für Reflexion und Heilung, Ausdruck einer drängenden Zuversicht im dunkelsten Dunkel.


Ich lade ein, diesen Raum zu betreten. Gemeinsam können wir die Schichten von Scham und Fremdzuschreibung abtragen und einen neuen Blick auf uns selbst und unsere Gesellschaft werfen. Denn nur wenn wir den Mut haben, das Verborgene ans Licht zu bringen, kann sich echte Transformation vollziehen.



Acrylgemälde I am Queen von Jessika Dirks zeigt eine Frau mit Krone, die neben einem grünlich leuchtenden Schaf sitzt
»I am Queen«, 2024


 
 
 

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