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Warum echte Schönheit uns zu besseren Menschen macht

An dunklen Tagen wie diesen. In welchen grelles Blau und Orange, schmutziges Braun, Grau in Grau und noch schlechtere Aussichten unsere Nachrichtenlandschaft und Gedanken dominieren, sich unsere Welt aufreibt in ihrer Widersprüchlichkeit, sich überbietet in Hässlichkeit, in Kälte, in Zynismus, will ich den Blick ins Licht richten und eine schönere Zukunft träumen – nein, machen. 


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Im Garten (This ist fine), 2024, Acryl auf Leinwand, 45x50 cm


Ich richte meinen Blick in das Licht, um tiefer zu sehen. Tiefer als das Rascheln von Schlagzeilen, tiefer als der ohrenbetäubende Lärm, tiefer als das monotone Grau, das sich wie ein schmutziger Film über alles legt. Ich will die leisen Töne hören. Die feinen Linien, die lebendige Farbe, das, was unter der Oberfläche pulsiert. Schönheit. Nicht die triviale, nicht die gefällige, sondern die radikale Schönheit. Die, die alles sprengt. Die, die uns nicht in Ruhe lässt. Die, die uns durchflutet, wachrüttelt, die unsere Existenz anrührt und uns zwingt, Mensch zu sein.





Schönheit als Notwendigkeit, nicht als Luxus


Schönheit ist kein Ornament, kein dekorativer Beiklang unseres Daseins. Schönheit ist existenziell. Eine Welt ohne Schönheit ist eine Welt, die abstumpft, zerfällt, zerbricht.



»[Kunst] gehört zur Lebensqualität wie reine Luft

und reines Wasser.«*

Helmut Lachenmann, Komponist



Und doch wird sie oft behandelt, als sei sie nebensächlich. Kunst wird beschnitten, ausgelagert in Nischen, degradiert zur Ware. Architektur wird effizient statt lebendig, Städte funktional statt atmend. Menschen bewegen sich durch Umgebungen, die feindlich sind – aggressive, kalte, gleichgültige Räume, die uns klein machen, uns entkoppeln von uns selbst. Und wir wundern uns, warum wir uns fremd fühlen, misstrauisch und ablehnend werden.


Schönheit ist das, was uns hält. Was uns erinnert, dass wir Wesen sind, die fühlen, die träumen, die sich erheben können über den reinen Überlebensmodus, über einen Status-Quo, über eingefahrene Selbstverständlichkeiten und destruktive Normen. Sie ist unser Korrektiv gegen das Schrille, gegen das Abgestumpfte, gegen das Hässliche, das sich in unsere Sprache, unsere Körper, unsere Gedanken frisst.



Echte Schönheit sprengt Kategorien


Die Schönheit, die ich meine, ist nicht gefällig. Sie passt sich nicht an, sie beruhigt nicht, sie lullt nicht ein. Sie ist nicht glatt, nicht bequem, nicht konform. Sie ist widerständig, tief, mehrdimensional, divers.


Sie ist die Art von Schönheit, die nicht vergeht – weil sie nicht an der Oberfläche bleibt. Sie wohnt in Dingen, in Menschen, in Momenten, die über das Sichtbare hinausgehen, in Haltungen, die auf Menschlichkeit fußen. Sie wohnt in Falten, in Brüchen, im Unperfekten. In dem, was wir sonst übersehen würden. In dem, was unverschämt da ist, ohne sich entschuldigen zu müssen.


Wahre Schönheit ist kompromisslos ehrlich. Sie ist ein Spiegel, der uns zwingt, uns selbst zu sehen – in all unserer Größe, all unserer Zerbrechlichkeit. Sie ist ein Schlüssel zu einer tieferliegenden, milden wie brutalen Wahrheit. Sie ist eine herausfordernde Geborgenheit und das, was bleibt, wenn alles andere vergeht.



Kunst als Rückverbindung zu uns selbst


Ein Bild an der Wand ist nicht einfach ein Bild. Es ist eine Tür. Eine Einladung. Ein unmerklicher, aber stetiger Widerstand gegen das Verschwinden im Alltäglichen oder Populistischem.


Kunst ist keine bloße Dekoration. Kunst ist eine Haltung, eine Verortung in der Welt. Sie macht sichtbar, was sonst unsichtbar bleibt. Sie hebt uns aus der Gleichgültigkeit heraus und fordert uns auf, Verantwortung zu übernehmen, zu empfinden – mit ganzer Wucht, ohne Schutzschild, ohne Ablenkung.


Ein Kunstwerk im Raum verändert den Raum. Verändert den, der darin lebt. Es pflanzt etwas ein, das sich entfalten kann – langsam, unaufhaltsam. Schönheit arbeitet in uns, selbst wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen. Sie öffnet uns. Macht uns weicher, wacher, empfindsamer. Und ja: verletzlicher. Aber genau das ist es, was uns zu Menschen macht.



Die Ästhetik unserer Umgebung ist die Ästhetik unseres In-der-Welt-Seins


»Wir formen unsere Gebäude, danach formen sie uns.«

Churchill


Die Städte, die wir bauen. Die Räume, in denen wir leben. Die Gegenstände, mit denen wir uns umgeben. Sie sind nicht neutral. Sie formen uns. Sie schreiben sich in unsere Körper ein, in unsere Gedanken, in unsere Art, die Welt zu sehen.


Ein Sozialbau, der wie ein Gefängnis aussieht, lehrt Menschen, sich falsch, defizitär, schuldig, ungewollt, minderwertig zu fühlen. Ein öffentlicher Raum, der nur für Autos und nicht für Menschen gemacht ist, zeigt, was zählt und was nicht. Eine Welt, die auf Effizienz getrimmt ist, nimmt uns die Fähigkeit zum Staunen. TikTok reduziert unsere Wahrnehmung, die dann in ihrer Beschnittenheit nicht mehr dazu im Stande ist, in Erwartung zu schweben. Populismus schneidet die Möglichkeit zu Fragen ab und Demagogie nimmt uns das Mitgefühl – alles Hässlichkeiten unseres aktuellen Alltags. Wir mittendrin.


Was wäre, wenn wir unsere Umgebung anders denken würden? Wenn wir Schönheit nicht als Luxus sehen würden, sondern als Grundrecht? Wenn unsere Städte, unsere Häuser, unsere Plätze Orte wären, die nähren, die inspirieren, die uns aufrichten? Wenn unsere Worte Gedichte wären? Wenn unsere Gedanken Paläste wären? Wenn unser Blick auf die Welt ein liebevolles Streicheln wäre?


Was wäre, wenn wir Kunst nicht als Randerscheinung behandeln würden, sondern als Kern unseres guten Seins?



Schönheit macht uns zu besseren Menschen


Das Streben nach Schönheit ist kein oberflächliches Bedürfnis. Es ist eine echte Sehnsucht, die viele von uns verlernt haben zu fühlen oder gewaltsam von sich weisen. Es ist tiefgehender Ausdruck unserer Sehnsucht nach Sinn, nach Verbundenheit, nach Wahrheit.


Schönheit fordert uns auf, menschlicher zu sein – offener, durchlässiger, empathischer. Sie macht uns empfindsamer für Nuancen, für Stimmungen, für das, was zwischen den Zeilen liegt. Ein Mensch, der Schönheit erfährt, lernt, genauer hinzusehen – auch auf andere Menschen. Er verlernt die Abstumpfung, das achtlose Vorübergehen, das Ausgrenzen, das Abwenden.


Schönheit hat eine ethische Dimension. Sie erzeugt Ehrfurcht vor dem Leben und seiner Vielfalt. Sie hält uns davon ab, die Welt als bloße Ressource zu sehen, als bloßes Mittel zum Zweck oder Menschen als Objekte. Sie lehrt uns, dass Dinge nicht nur existieren, um genutzt oder optimiert zu werden – sondern dass sie einfach sein dürfen.


Und genau darin liegt der Schlüssel: Schönheit ist das, was uns zeigt, dass es mehr gibt als Funktionalität, mehr als Berechnung, mehr als bloßes Überleben. Sie erinnert uns daran, dass wir nicht nur Maschinen sind, sondern Wesen mit Geist, mit Gefühl, mit Seele.



Schönheit als Revolution


In einer Welt, die uns zunehmend darauf trainiert, effizient, angepasst und unberührbar zu sein, die sich täglich mit neuen Hässlichkeit überbietet, ist Schönheit – als Achtsamkeit und individueller, behutsamer, umsichtiger Ausdruck – ein revolutionärer Akt. Sie fordert uns auf, zu spüren, hinzusehen, zu berühren und uns berühren zu lassen.


Indem wir Kunst machen und/oder in unser Leben holen – in unsere Räume, in unsere Städte, in unsere Wahrnehmung, in unsere Worte und Haltungen, in unser Zu-uns- und Miteinander-Sein – setzen wir ein Zeichen gegen das Abstumpfen. Gegen das Vergessen. Gegen die Mechanisierung unseres Seins.



Wir holen uns selbst zurück. Wir geben uns in die Welt zurück.






*Quelle:


Empfehlungen:


Blogbeitrag der Uni Bamberg „Schön, schöner, gesund.“:


Vorlesung der Universität Wien „Ästhetik, Wohlbefinden, Gesundheit“


Beitrag der Max Planck Gesellschaft „Das Geheimnis der Schönheit“:

 
 
 

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