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Die Scham muss die Seite wechseln – Ein Plädoyer für Veränderung

Scham – dieses intime, lähmende Gefühl, das uns verstummen lässt, ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Besonders Frauen* und weiblich gelesene Körper sind Zielscheibe einer schambehafteten Normalität, die von patriarchalen Strukturen gestützt wird. Die Serie »Es werde Licht« ist meine Antwort darauf: ein künstlerischer Versuch, die Dynamik von Scham offenzulegen, ihre zerstörerische Wirkung auf das Individuum sichtbar zu machen und zugleich Wege zu finden, diese Scham dorthin zu verschieben, wo sie hingehört – auf das System, das sie erzeugt und die Menschen, die sie reproduzieren.



Warum ist die Scham immer noch auf der falschen Seite?


Noch immer erleben wir eine Welt, in der Betroffene sexualisierter Gewalt beschämt werden. Fragen wie »Warum warst du dort?«»Was hattest du an?« oder »Hast du dich nicht gewehrt?« zeigen, wie tief diese Dynamik in unserer Gesellschaft verankert ist. Anstatt Täter und Mittäter zur Verantwortung zu ziehen, wird die Schuld subtil oder offen den Opfern zugeschoben. Gleichzeitig wird Frauen* ihre Existenz durch objektifizierende Blicke, Körperideale und normierende Urteile über ihr Aussehen zur Last gemacht.


Diese Mechanismen wirken wie ein unsichtbarer Käfig. Sie setzen Frauen* unter Druck, sich in einer patriarchal geprägten Welt zu behaupten, die sie gleichzeitig beschämt und entwertet.



Die Scham als systemisches Werkzeug


In meiner Serie „Es werde Licht“ habe ich mich intensiv mit der Rolle der Scham auseinandergesetzt. Sie ist nicht nur ein persönliches Gefühl, sondern ein Werkzeug, das von Systemen genutzt wird, um Kontrolle auszuüben. Die Werke beleuchten diese Dynamik: Sie machen die verheerende Wirkung der Scham auf das Individuum nachvollziehbar und schaffen zugleich einen Raum, in dem die Scham vom Einzelnen weg hin zum System verschoben werden kann.


Diese Verschiebung ist radikal. Denn sie zeigt, dass Scham nicht naturgegeben ist, sondern gesellschaftlich erzeugt und aufrechterhalten wird. Indem wir uns dieser Tatsache bewusst werden, öffnen wir die Möglichkeit, die Scham auf diejenigen zu lenken, die Macht missbrauchen, Gewalt ausüben oder schweigend zusehen.



Eine persönliche Auseinandersetzung mit der Scham


Die Auseinandersetzung mit Scham war und ist für mich persönlich selbst ein zutiefst schambehafteter Prozess. Es erfordert Mut, sich mit der eigenen Scham auseinanderzusetzen und diese öffentlich sichtbar zu machen. Immer wieder hadere ich mit mir selbst, kämpfe mit der Angst, mich zu zeigen, und spüre den Impuls, mich zurückzuziehen. Doch ich halte es für unumgänglich und wichtig, genau das zu tun – die Scham auszuhalten, sie zu artikulieren und sichtbar zu machen.


Warum? Weil ich überzeugt bin, dass dieser Schritt notwendig ist, um toxische Scham zu überwinden. Nur indem wir uns mit ihr auseinandersetzen, sie aus den Schatten holen und sie teilen, können wir beginnen, ihre Macht zu brechen.



Warum Kunst ein Schlüssel ist


Kunst hat die einzigartige Fähigkeit, Unsagbares zu artikulieren. Sie kann Emotionen und Gedanken auf eine Weise ausdrücken, die Worte allein oft nicht vermögen. Durch die Betrachtung von Scham als künstlerischem Thema wird ein Raum geschaffen, in dem sich Betrachter*innen mit ihren eigenen Erfahrungen und Vorstellungen auseinandersetzen können.


Kunst kann so zu einem Werkzeug der Befreiung werden: Sie fordert gesellschaftliche Normen heraus, öffnet Räume für Heilung und lädt zur Reflexion ein. Im Kontext von »Es werde Licht« ist es mein Ziel, nicht nur die zerstörerische Wirkung von Scham zu thematisieren, sondern auch den Mut und die Kraft sichtbar zu machen, die notwendig sind, um diese Dynamik zu durchbrechen.



Die Richtung ändern – Scham als Katalysator für Veränderung


Gisèle Pelicot prägte den Satz: »Die Scham muss die Seite wechseln.« Es ist ein kraftvoller Appell, der uns daran erinnert, dass wir als Gesellschaft Verantwortung tragen. Die Frage darf nicht länger lauten: »Warum hat sie das zugelassen?«, sondern: »Wie konnte das geschehen?« und »Warum haben wir nicht verhindert, dass es geschieht?«


Diese Fragen sind unbequem. Sie fordern uns auf, den Blick nach innen zu richten – auf unsere Werte, unser Handeln und die Strukturen, die wir unterstützen oder tolerieren.

Indem wir die Scham dorthin verlagern, wo sie hingehört, schaffen wir die Grundlage für echte Veränderungen: eine Welt, in der Gewalt und Machtmissbrauch keinen Platz mehr haben, und eine Gesellschaft, die sich durch Solidarität und Mitgefühl definiert.



Ein Appell


Die Auseinandersetzung mit Scham ist schmerzhaft und herausfordernd, aber sie ist notwendig. Wir alle tragen Verantwortung dafür, wie wir auf Gewalt und Ungerechtigkeit reagieren. Kunst kann ein Katalysator sein, der uns inspiriert, stärkt und zusammenführt.

Ich lade euch ein, mit mir diesen Weg zu gehen: Lasst uns die Scham dorthin verschieben, wo sie hingehört, und gemeinsam Räume schaffen, die Heilung und Veränderung ermöglichen.


Denn die Scham muss die Seite wechseln – und es liegt an uns, diesen Wechsel zu vollziehen.

 
 
 

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